Wir brauchen Hunde, die sich anpassen können

Interview mit Hunde-Expertin Perdita Lübbe-Scheuermann

Die Hundeexpertin Perdita Lübbe-Scheuermann begleitet seit 1994 Menschen und ihre Hunde auf dem Weg zu einem harmonischen Miteinander. Ihre Hunde-Akademie (www.hundeakademie.de) bietet neben Einzelunterricht und zahlreichen Kursen vor allem Seminare für Endverbraucher und Hundetrainer an. Im Interview erzählt sie davon.

Mit welchen Erwartungen kommen Kunden zu ihnen?
Viele wollen, dass ich den Hund mit einer Art „Tastatur“ belege, mit Begriffen, die wir Menschen benutzen. Bei „Komm!“ oder „Mach Platz!“ soll er wissen, was gemeint ist, und das Signal befolgen. ‚

Hunde sollen also lernen, bestimmte Befehle zuverlässig auszuführen?
Viele Hundehalter versuchen, ihr Tier durch Hörzeichen zu kontrollieren. Ein typisches Beispiel ist die Begegnung mit einer Katze. Der Mensch bringt den Hund ins Sitz und meint, jetzt sei alles schick, weil der Hund das Signal befolgt und der Katze nicht hinterhergeht. Das stimmt aber nicht ganz. Er sitzt zwar, weil er gehorcht, aber sein Fokus ist dennoch auf der Katze. Er wird sie wieder „hetzen“ wollen. Ich möchte Beziehungsarbeit leisten und dass die Hunde auch mental bei ihren Menschen sind, nicht nur arretiert.

Bringen Sie Ihren Kunden denn auch bei, sich über Körpersprache mit dem Hund zu verständigen?
Ja, definitiv, das ist der Hauptbestandteil unserer Arbeit. Deshalb biete ich auch Körpersprache-Seminare an. Zum Beispiel erläutern wir, was es bedeuten kann, wenn der Hund vor seinem Menschen an strammer Leine steht und etwas oder jemanden fixiert. Oder was es heißt, wenn der Hund bei einer Begrüßung an einer fremden Person hochspringt. Das muss nicht immer bedeuten: „Hallo, ich finde dich toll und begrüße dich.“ Das kann ja auch Bewegungseinschränkung oder Ähnliches sein. In den Seminaren nehmen wir solche Situationen auf Video auf und schauen genau hin, was da vor sich geht. Und dann erarbeiten wir Lösungsschritte.

Wie sehen Lösungsschritte aus?

Ein Schritt zum besseren Kennenlernen des Hundes könnte sein, einfach mal Wohlbehagen bei dem Hund auszulösen. Viele Menschen wissen nicht, wie sie das machen können. Sie streicheln dem Hund über den Kopf, doch sie erkennen die Signale nicht, wenn er das unangenehm findet, und streicheln weiter. Ich warte darauf, dass der Hund anfängt die Lider zu schließen, sich dem Menschen entgegenstreckt und es schön findet und mehr von dem möchte, was der Mensch da macht. Dies fühlen die Besitzer dann und genießen das bessere Verständnis. Ein weiterer Lösungsschritt, der auch dem Vertrauensaufbau dient, ist, dass ich als Mensch für die „Gefahrenabwehr“ zuständig bin und mich verantwortlich fühle. Dies tue ich, indem ich für den Hund agiere, beispielsweise Begrüßungen übernehme, statt sie dem Hund zu überlassen.

Inwiefern sollte der Mensch auf seinen Hund Rücksicht nehmen?

Ich selbst bin nicht bereit, mich hundertprozentig auf meine Hunde einzustellen. Denn ich finde, dass sich Hunde mit einigem abfinden müssen, etwa wenn wir mal laut sind. Ich bin kein leiser Mensch, und mein Hund muss mit meinem Lautsein leben. Aber wenn ich weiß, dass er nicht auf dem Kopf gestreichelt werden möchte lasse ich das. Wir sollten uns bemühen, das hundliche Ausdrucksverhalten besser zu verstehen, um klarer und einfacher mit ihm kommunizieren zu können. Dies trägt meines Erachtens zu einer noch höheren Lebensqualität für Mensch und Hund bei.

Was ist das wichtigste Werkzeug im Umgang mit Hunden?

Nichts ist so wichtig wie die mentale Einstellung. Ich kann mich körpersprachlich noch so gerade hinstellen oder professionalisieren, wenn meine Einstellung ist:
„Ich pack’s nicht“, wird es nicht gehen.

Wie machen Sie das den Kunden klar?
Ich frage als Erstes: „Warum sind Sie hier, was ist Ihr Anliegen?“ Die meisten antworten dann: „Damit mein Hund nicht mehr an der Leine zieht, damit mein Hund nicht mehr jagen geht.“ Dann frage ich: „Was möchten Sie denn für sich erreichen?“ Und irgendwann kommt dann heraus: „Ich möchte mehr Kontrolle. Ich möchte mich nicht mehr vor meinen Nachbarn blamieren.“ Und das ist der erste Schritt, nämlich Ich-Aussagen zu treffen.

Warum fällt es uns so schwer, dem Hund Grenzen zu setzen?
Weil wir geliebt werden wollen. Außerdem kompensieren wir den Druck, den wir im Alltag haben. Der Hund ist unser Seelentröster. Wenn ich von einem harten Arbeitstag nach Hause komme, möchte ich nicht noch zu Hause erziehen müssen. Ich muss ja schon gucken, dass sich die Kinder ordentlich benehmen und ihre Hausaufgaben gemacht haben. Dann auch noch dem Hund zu sagen, „benimm dich und lass das jetzt“, das fordert zu viel. Der soll auf dem Sofa sitzen und einfach nur mit einem kuscheln. Das wird von vielen mHunden heute erwartet.

Können Hunde diese Erwartungen überhaupt erfüllen?
Manche vielleicht. Und solche Hunde bräuchten wir in der heutigen, schnelllebigen Gesellschaft. Aber Hunde sind nun einmal Hunde, und so liegt es an uns, dass wir unsere Hunde nicht mit unseren eigenen Bedürfnissen überfordern und mehr „hündisch“ lernen. Und im Übrigen finde ich: Der Mensch macht den Hund.

Hundesprache richtig deuten

Dieses Interview und viele weitere Experten-Interviews finden Sie in unserem Hunderatgeber „Versteh mich doch!“ Die Autorin Astrid Nestler zeigt, wie Sie Hundesprache richtig deuten. Denn wie alle guten Freunde haben sich auch der Mensch und sein Hund viel und Wichtiges zu erzählen – doch was ist es eigentlich, was Ihr Hund Ihnen sagen will, wenn er bellt, die Ohren aufstellt oder das Fell sträubt? Und wie machen Sie ihm begreiflich, dass er auf Sie hören soll? Diese Antworten und viele Hintergrundinformationen wie Ihr Hund die Welt um sich herum erlebt und versteht finden Sie im Ratgeber „Versteh mich doch!„, der in Kooperation mit dogs entstanden ist – Deutschlands führendem Hundemagazin.