Von Schreien, Schnullern und Bäuerchen
Elternirrtümer aufgeklärt
Die Gesundheit, das Wohlbefinden und die Förderung ihres Kindes liegen allen Eltern am Herzen. Dabei wollen sie möglichst alles richtig machen und auf keinen Fall etwas Wichtiges verpassen. Doch Eltern haben oft Angst, versehentlich das Falsche zu tun oder das Richtige zu lassen. Hier findest du die populärsten Eltern-Irrtümer, sozusagen moderne Medien-Mythen rund um die Themen Gesundheit, Krankheit und Entwicklung von Kindern.
Wir stellen dir drei der am häufigsten nachgefragten Mythen und aufklärende Antworten des erfahrenen Kinderarztes Martin Beck vor.
1. Mythos: „Ich muss mein Baby nach der Uhr füttern.“
Gerade beim Thema Ernährung und Verdauung gehen die Meinungen weit auseinander. Ein weit verbreiteter Irrglaube ist zum Beispiel: „Ich muss mein Baby nach der Uhr füttern“. Auf Neugeborenen Stationen der Siebziger- und Achtzigerjahre wurden Babys alle vier Stunden zu ihren Müttern zum Stillen gebracht, ob sie gerade hungrig waren oder nicht. Heute dagegen respektiert man die Signale des Babys, mit denen es zeigt, ob und wie viel es trinken möchte. Ein Kind verhungert nicht, wenn es nachts mal mehr als 8 Stunden oder länger schläft. Wecke es zur Mahlzeit lieber nicht auf. Das bringt normalerweise nichts, da dein Baby vor lauter Müdigkeit dann nicht viel trinkt.
Noch heute verbreitet ist die Meinung, dass man ein Baby nicht öfter als alle zwei Stunden füttern sollten. Die Begründung: Es verursache Bauchweh, wenn frische Milch im Magen auf die „angedaute Milch“ treffe. Das mag im Einzelfall möglich sein. Wenn dein Baby aber sehr oft schon nach einer Stunde wieder trinken möchte und nach der Mahlzeit nicht regelmäßig weint, musst dir darüber keine Gedanken machen.
Dein Baby weiß selbst am besten, wann es etwas braucht und wie viel. Je länger du dein Baby kennst, desto eher wirst du die Signale wahrnehmen, mit denen es Hunger anmeldet. Signale, um Hunger zu bekunden, sind zum Beispiel:
• saugende Mundbewegung und Sauggeräusche,
• Schmatzgeräusche,
• Lippenlecken und Herausstrecken der Zunge,
• schnelle Bewegungen der Augen,
• am Händchen saugen
2. Mythos: „Das Bäuerchen muss sein.“
Aufstoßen und so den Magen „entlüften“ – das kann deinem Baby helfen, später nicht spucken zu müssen oder sich unwohl zu fühlen. Wenn das Bäuerchen zügig kommt – wunderbar. Aber wenn dein Kind dir nach dem ersten Versuch nicht den Gefallen tut, zu rülpsen, kannst du es durchaus auch ohne Bäuerchen hinlegen. Das ist dann auch ungefährlich. Dein Kind hat nicht zwingend nach jedem Trinken überschüssige Luft im Bauch, die es loswerden muss: Bei einer hektischen Mahlzeit schluckt es eher viel Luft beim Trinken mit, beim ruhigen Nuckeln, etwa beim Einschlafen, wenig bis keine. Auch führt geschluckte Luft nicht bei jedem Kind zu Unwohlsein oder Unruhe.
3. Mythos: „Schreien stärkt die Lungen.“
Unsere Urgroßeltern konnten das Schreien ihrer Kinder ebenso wenig aushalten wie wir heute, aber sie zogen eine andere Konsequenz daraus: Mit Sätzen wie „Schreien stärkt die Lungen“ wurde der Kinderwagen mitsamt seinem brüllenden Inhalt kurzerhand aus der Hörweite der Eltern gefahren. Heute, rund ein Jahrhundert später, wird dieser Satz noch gelegentlich – gerne von den Großeltern unserer Kinder – geäußert. Medizinisch ist er jedoch zu widerlegen: Die Lunge des Säuglings ist bei der Geburt schon voll entfaltet, Atmung und Stimmbänder funktionieren bestens, und nichts davon bedarf einer „Kräftigung“. Mittlerweile wissen wir: Beim Schreien allein zu sein stärkt vor allem die Angst.
„Das Schreien“ einstellen zu wollen ist ein Reflex aller Eltern. In der Regel wird heute nicht mehr der Kinderwagen hinters Haus gefahren, sondern die Eltern wenden sich tröstend ihrem Baby zu. Das ist auch gut so, denn durch das Schreien tut das Kind seine Bedürfnisse kund. Wenn ein Baby schreit, hat es irgendein Bedürfnis. Wenn du aber nicht herausfinden kannst, was hinter dem Schreien steckt, dann solltest du dein Baby beim Schreien zumindest nicht allein lassen. Irgendwann wird sich dein Baby beruhigen, wenn es nur die – möglichst ruhige – Nähe von Mama und Papa spürt. Helfen können ein paar Trostschlucke Milch, auch wenn der Hunger nicht so groß ist. Durch das Stillen ist es am einfachsten für das Kleine Nähe zu spüren. Keine Angst, dadurch verwöhnen du dein Baby nicht.
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